Sag mal, Was machst du da eigentlich?

Carole Kaufmann 6. Juli 2021

Ich möchte euch eine Geschichte erzählen, über mich und meine Großmutter. Seit ich vor vielen Jahren von zu Hause zum Studieren ausgezogen bin, sehe ich meine Oma leider nur noch selten. Dafür telefonieren wir oft und halten uns auf dem Laufenden. Und regelmäßig fällt die Frage: Was machst du eigentlich beruflich?

Meine Oma ist 93 Jahre alt und ich könnte jetzt antworten, sie ist vergesslich oder kann sich nicht mehr so gut konzentrieren. Aber nein, die Frage zielt eher auf den Inhalt, das Ziel meiner beruflichen Tätigkeit ab. Meine Oma weiß, dass ich Kommunikationsdesign studiert habe. Sie kann jedoch weder begreifen, was man damit tut, noch, wie man damit Geld verdienen kann.

Meine erste Erklärung hörte sich ungefähr so an und war als Begründung der Studienwahl im Jahr 2014 gedacht: Kommunikationsdesign ist die Gestaltung von den verschiedensten Medien, zum Beispiel Bücher, Zeitschriften, Filme, Flyer, Webseiten, Visitenkarten etc., um Informationen von einer Person an eine andere weiterzugeben.

Antwort: Aha, also machst du Werbung.

Den zweiten Erklärungsversuch in der Mitte des Studiums versuchte ich anhand meiner Projekte darzustellen, um einen direkten Bezug aufzubauen. Dazu kann ich anfügen, dass meine Arbeiten sich von Anfang an stark am Thema Inklusion ausgerichtet haben (egal ob ich fotografierte, zeichnete oder reine Layout-Projekte gestaltete).

Antwort: Ja, aber das hast du doch vorher als Sozialpädagogin auch schon gemacht. Dafür hättest du doch nicht noch mal studieren müssen.

Mittlerweile habe ich das Studium mit einem erfolgreichen Inklusionsprojekt abgeschlossen und baue meine Selbstständigkeit als Soziale Gestalterin auf. Ich schicke ihr also meine ausgearbeiteten Konzepte, den Link zu meiner Homepage und Fotos von meinen Projekten. Ich erzähle ihr von den Förderanträgen, der Buchhaltung und den Fallstricken der Steuererklärung.

Antwort: Dann bist du jetzt eine Unternehmerin? Das hast du doch gar nicht gelernt.

Interessanterweise kommen meine Oma und ich auch nach all diesen Jahren und vielen Telefongesprächen immer wieder zu diesem Thema zurück. Dabei ist kein einziges Gespräch über meine berufliche Tätigkeit langweilig oder wiederholend. Über die Zeit und durch die gemeinsamen Auseinandersetzungen haben wir uns dem Kommunikationsdesign aus vielen verschiedenen Richtungen angenähert. Ich habe das Gefühl, dass meine Großmutter mit allen Aussagen auch immer ein Stückchen Wahrheit gefunden hat.

Ja, ich mache Werbung, ich bewerbe mich, meine Dienstleistung, meine Vision einer gerechteren Welt. Ich nutze dafür nicht die klassischen Medien, sondern biete mit meinen Projekten sogenannten benachteiligten Personengruppen analoge und digitale Räume. Damit sie sich, ihre Erfahrungen und ihre Kompetenzen sichtbar machen können.

Dabei übernehme ich auch typische Aufgaben, die einer Sozialpädagogin zugeordnet werden. Ich bin in sozialen Einrichtungen unterwegs, wie Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). Ich habe Kontakt zu Gruppenleiter:innen, Sozialen Diensten oder den Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatungsstellen (EUTB). Im Gegensatz zu einer Sozialpädagogin jedoch steht für mich als Soziale Gestalterin der Prozess, das gemeinsame und gegenseitige Lernen mit allen Projektteilnehmer:innen im Vordergrund.

Der Part der Unternehmerin fällt mir immer noch am schwersten. Ob ich nun als Solo-Selbständige unterwegs bin, ein Gewerbe anmelde oder als Social Entrepreneurin unsere Gesellschaft neu denke, der Alltag besteht immer auch aus sehr viel Papierkram, Organisation und Struktur. Ich übernehme für meine berufliche Tätigkeit, meine Projekte und die Kooperationspartner:innen Verantwortung, ich gestalte immer in einem Gesamtgefüge und beeinflusse durch meine Tätigkeit die Sichtweisen meiner Mitmenschen. Verantwortung zu übernehmen gehört in meinem Verständnis zu den wichtigsten Aufgaben einer Kommunikationsdesignerin und einer Unternehmerin.

Liebe Oma, ich weiß nicht, ob diese Zeilen es dir einfacher machen, nachzuvollziehen, was ich denn nun beruflich auf meinem Weg als Kommunikationsdesignerin mache. Mir hat es auf jeden Fall sehr viel Freude bereitet, einen kleinen Teil unserer gemeinsamen Geschichte aufzuschreiben, und vielleicht findet sich die Eine oder der Andere in einigen dieser Aussagen wieder.

Merci Boma

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