Auch im Grafikdesign gibt es Gruselgeschichten: Im Jahr 1971 entwarf die Studentin Carolyn Davidson ein Logo für eine unbekannte kleine Sportartikelfirma. Sie bekam 35 US-Dollar für etwa 17 Stunden Arbeit, kurz darauf gelang der Firma der millionenschwere Marktdurchbruch – richtig geraten, es geht um Nike.* Ich an Carolyns Stelle hätte vermutlich aus Frust eine Ecke aus meiner Tastatur gebissen, aber anderen Kreativschaffenden sind glücklicherweise produktivere Strategien für den Umgang mit dem Problem der Preisgestaltung eingefallen.
Ja, ja, das liebe Geld. Es gibt abseits von der Aufregung um solche Geschehnisse wirklich wenige Themen, die mich mehr langweiligen als Finanzen. Fürs Alter vorsorgen? Da fange ich schon noch mit an, wenn ich irgendwann mal richtig Asche mache. Einen Businessplan aufstellen? Ich bin ja mehr so der lockere Typ. Angebote kalkulieren? Also … Preise ausdenken kann ich prima.
Bis vor Kurzem funktionierten meine ökonomischen Scheuklappen auch immer ganz gut. Neben BAföG, einem Barjob und dem gelegentlichen kleinen Designauftrag hatte ich zumindest keinen akuten Grund, mir Sorgen zu machen. Das allerneueste MacBook hatte ich zwar nicht im Rucksack, ich musste aber auch keine Sackkarre mit einem Tower-PC hinter mir her ziehen. Trotzdem beschlich mich mit dem nahenden Ende meines Studiums der beunruhigende Verdacht, dass ich mir mit dieser Laissez-faire-Einstellung keinen Gefallen tat.
Aus mir selbst noch nicht komplett nachvollziehbaren Gründen beschloss ich, meine Masterarbeit dem leidigen Thema Geld zu widmen – um am Ende als fertig studierter Designer / Finanzexperte aus der Kunsthochschule zu schlendern. Soweit der Plan.
Finanzielles Lesenlernen – Literatelly illiterate
Keine Angst, ich bin durch das Projekt nicht plötzlich zum BWL-Bro geworden. Mir geht es nicht darum, den Code für 10.000$ passives Einkommen zu knacken oder irgendwen von Kryptowährungen zu überzeugen. Vielmehr begann meine Auseinandersetzung mit dem gestalterischen Geldverdienen mit der simplen Frage: Bin ich mit meiner Unsicherheit und Antipathie für Finanzielles eigentlich allein?
Eine kleine Umfrage in meinem Design-Dunstkreis auf Instagram beantwortete das mit einem klaren Nein. „Wo kommt der nächste Job (das nächste Geld) her?“, schrieb da jemand. „I’m insecure in how to build reserves for the future“, jemand anderes. Eine:r der Befragten brachte es so auf den Punkt: „Der Wert von Kreativleistungen ist insbesondere für Fachfremde schwer nachzuvollziehen. Aber auch für einen selbst.“
Der Begriff financial literacy (deutsch: „Finanzielle Alphabetisierung“) beschreibt das Wissen und die Fähigkeiten, die für wichtige finanzielle Entscheidungen nötig sind. Bei uns als Berufseinsteiger:innen gibt es offenbar die Tendenz, die komplexe Grammatik der Adobe-Shortcuts bereits im Zellgedächtnis verinnerlicht zu haben, während wir in Sachen Geld kaum erst buchstabieren können. In einer Branche, die ihre Brötchen im Umgang mit Schrift und Sprache verdient, sollten jetzt alle Alarmglocken läuten. Die Entscheidung zur selbstständigen Karriere ist im Kommunikationsdesign keine Seltenheit, was das grundlegende Verständnis einiger wirtschaftlicher Zusammenhänge umso wichtiger macht.
Reden wir über Zahlen
Die kürzlich vom Haus der Selbstständigen und 54 Berufsverbänden initiierte Umfrage SO_LOS! ergab für Solo-Selbstständige im Bereich Grafik und Mediengestaltung ein mittleres Bruttojahreseinkommen von 30.000€. Damit liegen wir im Vergleich mit anderen in der Umfrage vertretenen Berufsgruppen wie Musik und Bildender Kunst zwar vorne, mit ein Blick auf das aktuelle deutsche Durchschnittseinkommen von 49.200€ im Jahr relativiert das allerdings recht schnell wieder.
Nun ist es schwierig, anhand solcher Durchschnittswerte konkrete Aussagen zu treffen, weil sie durch eine Unmenge an Faktoren geformt werden: Wohnort, Geschlecht, Alter, Herkunft, familiäre Situation und damit mögliche Arbeitsstunden, Ausbildung oder akademischer Grad, Berufserfahrung und nicht zuletzt auch Charakterzüge, um nur einige zu nennen. Ich finde aber eh die Zahlen über die Gefühle der Befragten viel interessanter. Die Initiative schreibt über ihre Umfrage:
Fast die Hälfte fühlt sich bei der Honorarkalkulation unsicher. Zurückgegriffen wird dabei vor allem auf eigene Erfahrungen (68 %) und Informationen von Kolleg*innen (47%). Nur rund ein Drittel kalkuliert betriebswirtschaftlich; lediglich gut ein Viertel orientiert sich an kollektiven Honorarempfehlungen.
Ich fasse es mal weniger mathematisch zusammen: Viele von uns sind bei der Gestaltung unserer eigenen Preise überfragt. Häufiger als darüber zu sprechen, möchten wir das irgendwie allein ausbaldowern. Und oft genug hat das, was dabei herauskommt, nichts mit Strategien oder Empfehlungen zu tun. Heißt das, wir legen unsere Honorare alle einfach nach Gefühl fest?
Damit hab’ ich aber nicht gerechnet
Wir schreiben das Jahr 2017. Der Freund einer Freundin (nennen wir ihn aus Anonymitätsgründen Stefan Sparfuchs) fragt mich, ob ich ihm eine Portfolio-Website bauen kann. Stefan hat dafür ein Budget von 300€ eingeplant. Zu der Zeit arbeite ich für 400€ im Monat als Praktikant, daran gemessen erscheint mir der Betrag als total fair.
Was ich noch nicht weiß: Stefan hat ganz genaue Vorstellungen von seiner Website, kann die aber leider nur sehr ungenau ausdrücken. Dafür weiß er nach jeder neuen Runde Entwürfe immer besser, was ihm alles nicht gefällt. Das Projekt füllt für die nächsten zwei Monate einen guten Teil meiner Wochenenden und hinterlässt das blöde Gefühl, meine erste kommerzielle Arbeit versehentlich zum absoluten Schleuderpreis verkauft zu haben.
Diese Feuertaufe war stressig und rückblickend vermeidbar, hat mir aber gleichzeitig wesentlich nachhaltiger ein Bewusstsein für die Wichtigkeit informierter Preiskalkulation eingebläut als das Modul Professionalisierung in meinem Bachelorstudium.
Hier kommt eine Liste mit drei Lektionen, die ich daraus mitgenommen habe. Sie hat weder Anspruch auf Vollständigkeit, noch soll sie eine Beratung zur Existenzgründung ersetzen. Als grober Leitfaden in meinen ersten Freelance-Projekten hätte sie mir damals trotzdem geholfen.
Gut Ding will Weile haben
Design funktioniert iterativ. Die richtig cleveren Ideen kommen oft erst über das wiederholte Drehen-Und-Wenden® und Aus-Allen-Blickwinkeln-Betrachten™, und das dauert länger als gedacht.
All hail the paper trail
Um Missverständnisse zu vermeiden, sind feste Absprachen in Schriftform unglaublich wichtig. Idealerweise finden diese in Form von Angeboten oder Verträgen statt, für den Anfang ist aber eine Email schonmal besser als ein Spuckehandschlag.
Irgendwann ist Schluss
Neben dem Betrag gehört in diese Absprachen eine wasserdichte Definition der gelieferten Leistung. Ob das über eine maximale Anzahl an Korrekturschleifen passiert, eine vereinbarte Menge Arbeitsstunden, messbare Ziele oder eine Kombination von alldem – wichtig ist, dass das Ende eines Projekts nicht Interpretationssache bleibt.
Die unerträgliche Berechenbarkeit Designs
Erinnern wir uns an die Person aus meiner Umfrage, für die der Wert von Gestaltung ebenso schwer fassbar ist wie für Fachfremde. Warum ist das denn so kompliziert?
Eigentlich sollte so eine Kalkulation nicht schwieriger sein als die Multiplikation eines angemessenen Stundensatzes mit der Anzahl an Stunden. Für die Berechnung eines solchen Stunden- oder Tagessatzes finden sich online Tools (wie den BDG-Stundensatzkalkulator) und für die Einschätzung der benötigten Zeit bekommt man nach ein paar Projekten auch irgendwann ein Gefühl. Das sind Themen, mit denen sich Selbstständige in allen Bereichen auseinandersetzen müssen. Ich denke daher, dass die eigentliche Schwierigkeit woanders sitzt.
Als Kommunikationsdesigner:innen befinden wir uns im dauerhaften Spagat zwischen Kunst und Dienstleistung. Je nach Bereich neigt sich dieser akrobatische Balanceakt stärker in die eine oder andere Richtung, aber zumindest mit dem kleinen Zeh stecken wir alle in der Kunst. Und das bedeutet: Chaos, Subjektivität, Geschmack, Emotionen, Ästhetik, Genius, Radikalität, Paradoxie. Damit wir nun nicht bei jedem neuen Auftrag Immanuel Kants Kritik der Urteilskraft zurate ziehen müssen, reicht vielleicht erstmal diese Erkenntnis: In kreativen Designprozessen gibt es zwangsläufig ein Element der Unberechenbarkeit, und das sollten wir versuchen einzukalkulieren.
Eine Möglichkeit ist das value based pricing („wertbasierte Preisgestaltung“), bei dem sich der Preis am Nutzen für den:die Kund:in orientiert (beispielsweise am gesteigerten Umsatz durch eine erfolgreiche Werbekampagne). Diese Strategie ist nicht ganz risikofrei und kommt damit für große Agenturen eher in Frage als für Soloselbstständige am Anfang ihrer Karriere.
Für den nächsten Tipp bedanke ich mich bei Simon Wehr: Er hat mir mit dem „Posten für Unvorhergesehenes“ die Augen geöffnet. Dabei handelt es sich einfach um einen kleinen Puffer auf Angeboten, der bei Bedarf in Absprache mit der:dem Kund:in angebrochen wird und bei Nichtbedarf einfach nicht auf der Rechnung auftaucht. Das vermeidet elegant unangenehme Nachverhandlungen.
Eine etwas konservativere Methode zur Absicherung bieten Nutzungsrechte: Arbeitet man beispielsweise für Personen mit eher kleinem Budget, darf man die Rechte fürs obligatorische „schnelle Logo“ auch erstmal nur für ein paar Jahre vergeben und nach deren Ablauf die Weiternutzung in Rechnung stellen.
Kassensturz
Das Thema Geld ist extrem vielschichtig und nie ganz zu Ende diskutiert, aber ich möchte an dieser Stelle einen vorübergehenden Schlussstrich ziehen und meine Groschen zählen.
Fangen wir mit der positiven Bilanz an. Seit meinem Abschluss letzten April arbeite ich freiberuflich und finanziere mich damit selbst. Das ist mehr als ich erwartet habe und freut mich dementsprechend, mir ist aber auch vollkommen bewusst, dass ich als weißer cis Mann deutscher Herkunft der zur Not seine Eltern nach Geld fragen könnte, aus einer privilegierten Position spreche. Weiterhin bin ich inzwischen BDG-Mitglied und schlafe ruhiger in der Gewissheit, dass ich auf ein ganzes Netzwerk an Gleichgesinnten mit einem jahrelangen Erfahrungsschatz zurückgreifen kann. Außerdem habe ich das Glück, mich mit meinen aktuellen Projekten auch in Werten ganz abseits des Kontostands repräsentiert zu fühlen.
Trotz allem habe ich auch einige rote Zahlen zu vermelden. Der anfangs prophezeite Finanzexperte bin ich natürlich nicht geworden. Meine Steuererklärung habe ich wie üblich etwas zu spät eingereicht, mit der Altersvorsorge muss ich immer noch anfangen und meine Buchhaltung ist holterdipolter.
Aber: Inzwischen ist mir bewusst, wie viele von uns heimlich im Dunkeln tappen und aus Scham nicht darüber sprechen. Ich suche mit Freund:innen und Kolleg:innen das Gespräch, und es gibt immer mindestens eine Person, die schon dasselbe Problem hatte und helfen kann – manchmal bin das sogar ich.
Starving Artist
Honor Eastlys Podcast wirft gleichermaßen ehrliche, unangenehme und amüsante Blicke auf die oft überfordernde Schnittmenge von Geld und Kreativität. Besonders gesehen gefühlt habe ich mich in der Episode How To Get Out Of Your Private Freelancer Tax Shame.
The Creative Economy
Der britische Ökonom John Howkins hat früh erkannt, dass in von einer ganzen Kreativwirtschaft gesprochen werden kann. Sein Buch The Creative Economy ist ein guter (= nicht allzu trockener) Einstieg für diejenigen, die in die Verflechtungen von Marken, Nutzungsrechten, Copyright und intellektuellem Eigentum einsteigen möchten.
Wie Kunsthochschulen unter Zielvorgaben ächzen
Einige von uns haben sich eine gewisse Unsicherheit beim Thema Geld vielleicht schon in der Ausbildung angeeignet. Über die oft prekäre Finanzsituation von Kunsthochschulen selbst berichtet dieser Monopol-Artikel zur Frage: Wie viel ist künstlerische Ausbildung wert?
* Carolyn Davidson bekam übrigens ihren Verlust im Nachhinein mit 500 Nike-Aktien doch noch ausgeglichen. Wir sollten als Neulinge aus solchen Geschichten aber vor allem eins mitnehmen: Gestaltung findet nie im Vakuum statt – Preisgestaltung auch nicht. Ebenso wichtig wie das Mitdenken gendersensibler, antirassistischer und inklusiver Diskurse in unseren Designprozessen ist die Solidarität untereinander. Mit Dumpingpreisen schaden wir langfristig nicht nur uns selbst, sondern der ganzen Branche.
Ernst Wolf, Gastautor & BDG-Mitglied
Für mich heißt Gestaltung, Ideen visuell begreifbar zu machen – und zwar vor allem, wenn ich im Prozess selbst etwas lernen kann. Für meine Masterarbeit knete.cash habe ich mich ins Neuland des kreativen Geldverdienen gekniet und mit anderen Designer:innen und Künstler:innen über ihre Sorgen, Tipps und Haltung gesprochen. In meiner neuerdings gemeinsamen Arbeit mit meinem frisch gegründeten Kollektiv Reiberei beschäftigen mich besonders Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und dem aktivistischen Potential von Design.
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